Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Gedenkstätte Todesmarsch im Belower Wald

Aussagen von Zeitzeugen über den Todesmarsch und das Waldlager

Peter Heilbut

Kaum ist der Zug, ist unsere Fünfhundertschaft aus Oranienburgs Bebauung heraus, kaum im freien Gelände, da passiert es zum ersten Mal. Einer, einige Reihen vor uns, bricht zusammen, fällt, liegt da. Liegt da, in Erwartung, wie es nun weitergehe. [...] Oder gibt er sich der simplen Hoffnung hin, dass weitermarschiert und er hier liegen- und zurückgelassen werde? „Das ganze halt!“ Auf SS-Befehl wird er beiseite getragen, neben den Weg gelegt. Ein Schuss knallt. Wir haben den ersten Toten.

Peter Heilbut (1920-2005), deutscher Häftling, 2005

 

P. S. Zalessky

Ein Vater und sein Sohn gingen in unserer Kolonne. Am zweiten Marschtag begann der Vater, an Kraft zu verlieren und zurückzubleiben. Wir halfen seinem Sohn, seinen erschöpften Vater zu schleppen, so gut wir konnten. Doch zwei Tage später erschoss ein SS-Mann ihn vor den Augen seines Sohnes. Ich werde dieses schreckliche Bild nie vergessen!

P. S. Zalessky, ukrainischer Häftling, 2002

 

Wladimir Wojewodschenko

Ich habe auf dem Marsch zwei meiner minderjährigen Kameraden aus meinem Block verloren – Vanja Doroschenko aus dem Donbass und Kolja Kavun aus dem Kiewer Gebiet. Während des Marsches sahen wir Haufen von vorbereitetem Viehfutter, bei dem es sich um Steckrüben handelte. Die Häftlinge stürmten aus der Kolonne zu der Miete. Auch wir sind mitgelaufen. Ich schnappte mir eine Steckrübe und rannte zurück, aber Vanja und Kolja befanden sich im Chaos neben der Miete. Die Wachmänner eröffneten das Feuer, und viele wurden getötet oder verwundet. Meine Freunde kehrte nicht zur Kolonne zurück, sie sind für immer auf diesem Acker geblieben. Sie gaben ihr junges Leben bei dem Versuch, ihren Hunger mit Viehfutter zu stillen.

Wladimir Wojewodschenko, (1925-2020), ukrainischer Häftling, 2015

 

Jaroslav Vrabec

Zwölf Tage und Nächte sind wir gelaufen, wir wurden nass, wir froren, wir fielen vor Erschöpfung und Hunger. Wer aus der Reihe trat wurde erschossen. Zwölf Tage und Nächte im Schatten des Todes. Immer im Kontakt mit der zurückgeschlagenen deutschen Armee und fanatisierten deutschen Jugend, die uns bespuckte und beschimpfte, dass wir es gewesen sind, warum sie den Krieg verloren haben.

Jaroslav Vrabec (1921-2010), tschechischer Häftling, 2006

 

Aloyse Ehleringer

Montag, den 23. April Abmarsch 7 Uhr. Was wird dieser Tag uns bringen? Es ist nieselndes, trübes Wetter. Der Hunger wird schlimmer, die nass am Leibe hängenden Kleider sind schwer wie Blei, die Füße in den Holzschuhen sind wund gelaufen und schmerzen immer mehr. Die Leichen der [...] erschossenen Häftlinge liegen bereits zu 2 und 3 nebeneinander im Kot und Schlamm des Straßengrabens.

Aloyse Ehleringer (geb. 1919 in Luxemburg), luxemburgischer Häftling, 1965

 

Eduard Michailowitsch Zimovets

Todesmarsch

[…]

Wir sehen ein totes Pferd in einem Gebüsch,
Alle Fünfhundert fliegen dorthin.

Aus den Augen des Pferdes rollen noch Tränen,
der frisch aufgerissene Bauch dampfte.
Hundert Menschen haben sich darauf gestürzt,
und jeder schnappte sich zumindest etwas.
Die Schlagstöcke gingen auf den gebeugten Rücken spazieren.
Die Hunde zerrissen die Hüften der Unglücklichen in Stücke.
Ein paar Schüsse haben alles beendet.
Nicht alle sind auf ihren eigenen Beinen zurückgekommen.

Drei Unglückliche bleiben dort liegen.
Der Hunger ließ sie sterben.
Und diejenigen, die ein Stück Fleisch ergattern konnten,
Teilten das Glück unterwegs mit ihrem Freund.
Es ist schwierig, marschierend rohes Fleisch zu kauen,
Manchmal beißt man sich dabei auf die Zunge.
Zwangsläufig gingen wir nach Nordwesten.
Der Bauch hörte auf zu fragen, als würde er nicht mehr essen wollen.

[…]

Eduard Michailowitsch Zimovets (geb. 1924), ukrainischer Häftling, 2015

 

Mikas Slaza

[Wir] marschieren in einem Eiltempo 18km über Wittstock hinaus, bis wir den Wald von Below erreichten. Da langten wir um Mitternacht so müde an, dass wir uns kaum noch weiterschleppen konnten. Und unaufhörlich hieß es von rechts und von links: Tempo! Aufgehen! Links ran! Todmüde sanken wir hin, wo wir standen, als es hieß, dass wir in dem Wald bleiben würden. Erst in der Morgenfrühe sah man sich seine Umgebung an. Schon viele Kolonnen waren vor uns angekommen. Niemand weiß, was weiter geschehen wird.

Miklas Slaza (geb. 1897 in Kretinga), litauischer Häftling, 1945

 

Fritz Eickemeier

Um 2.00 Uhr nachts sehen wir links der Landstraße mitten im Wald Laubhütten und hungrige Gestalten. Davor eine SS-Postenkette. [...] Die SS jagte uns in den Wald und damit sind wir für sie fertig. Bis jetzt hat man uns ohne Verpflegung, ohne sanitäre Hilfe, ohne jede Hilfe gelassen. [...] Der neue Tag meinte es nicht gut mit uns. Trübe, regnerisch und kalt. Soweit das Auge reicht, Waldhütten, Erdhöhlen und Laubdächer. [...] ausgemergelte, seit Tagen ungewaschene, zerrissene Gestalten hocken um das Feuer. Überall sieht man in Kochgeschirren, Konservenbüchsen, Suppe kochen. Es ist Wasser mit Brennnessel und anderer Gräser, denn Verpflegung hat es bis jetzt auch hier noch nicht gegeben.

Fritz Eickemeier (geb. 1908 in Osterwald/Hannover), deutscher politischer Häftling, 1945

 

Alexej Petrowitsch Kondratzew

Wir sind nördlich in Richtung Stettin gegangen. Der Marsch war sehr schwer. Unterwegs haben wir nichts zu essen bekommen. Ich hatte unglaubliches Glück, dass ich vor dem Todesmarsch Mehl sammeln und verstecken konnte. Wir waren neun junge Leute, die einander unterstützt haben. Wir hatten drei Töpfe, in denen wir während der Marschpausen aus dem Mehl einen Brei gekocht haben. Andere Häftlinge hatten gar kein Essen. Die größte Hilfe hat auf dem Todesmarsch das Rote Kreuz geleistet. Ich habe bemerkt, dass wir Russen, Ukrainer, insgesamt die sowjetischen Menschen auf diesem schweren Weg mehr aushalten konnten als die Leute aus den westeuropäischen Ländern. Schon vor dem Krieg hatten wir kein leichtes Leben: Wir hatten nicht genug zum Essen und schwere Arbeit und lebten meist wie Asketen. Wir konnten den Mangel leichter aushalten als diejenigen, die ein gute Lebensqualität gewohnt waren, die in einem guten Klima gelebt hatten und immer satt geworden sind.

Alexej Petrowitsch Kondratzew (geb. 1927), ukrainischer Häftling, 2002

 

Marcel Couradeau

Als wir durch Neuruppin kommen, steht eine alte Frau vor ihrer Tür und hält uns einen Eimer mit Wasser hin. Die SS-Posten stoßen den Eimer um und beschimpfen sie. Immerhin eine Deutsche, die noch ein Herz hat.

Marcel Couradeau (geb. 1908), französischer Häftling, 1981

 

Zwi Helmut Steinitz

In einigen Ortschaften standen aufgehetzte Kinder an der Straße, beschimpften und bewarfen uns mit Steinen: In ihren Augen waren wir anscheinend immer noch jüdische Todfeinde des deutschen Volkes.

Zwi Helmut Steinitz (geb. 1927 in Posen/Polen, gest. 2019 in Tel Aviv), jüdischer Häftling, 2006

 

Dmitro Y. Drewalj

Wir gingen drei Tage lange ohne Pausen oder Zwischenstopps. Wir fielen um vor Müdigkeit und Hunger, aber wenn wir nicht wieder aufstanden, dann erhielt man die unvermeidliche Kugel. Unterwegs gab es kein Essen. Unsere Fünfergruppe – davon erinnere ich mich an drei: Andrej Mandych, mein Landsmann Lukich und Igor aus Moskau – überlebten den Todesmarsch nur dank der Tatsache, dass ich bis zum letzten Tag in der Küche gearbeitet hatte. Dort habe ich mich mit Brot, Kartoffeln und Margarine eingedeckt, und das haben meine Kameraden und ich gegessen. Unterwegs bekamen wir dann eine Ration vom Roten Kreuz – ein Paket für fünf Personen. Durch List konnten wir zwei Pakete mitnehmen. Für den Fall einer Flucht deckten wir uns mit Lebensmitteln ein. So ein Fall stellte sich noch am selben Abend ein. Wir wurden an einem Wald entlanggeführt, und in diesem Moment rannte Andrej als Erster, gefolgt von mir, Igor, Lukich und einem anderen Mann, an dessen Namen ich mich nicht erinnere. Er war es, der starb, als sie das Feuer auf uns eröffneten. […] Wir machten uns mehrere Tage lang auf den Weg, tagsüber versteckten wir und in verlassenen Scheunen und Heuhaufen und nachts zogen wir nach Osten. Von dort waren bereits Schüsse und Gewehrfeuer zu hören. Wir vermuteten, dass unsere Truppen sehr nahe waren. Unterwegs halfen uns deutsche Einwohner und Polen, die wir trafen, mit Essen und Kleidung. Am 6. Mai erreichten wir unser Ziel und am 7. Mai sprachen wir bereits vom Sieg.

Dmitro Y. Drewalj (geb. 1925), ukrainischer Häftling, 2002

 

Max Stern

Als wir am Morgen des 7. Mai [1945] erwachten, bemerkten wir, dass die Maschinengewehre noch gegen uns gerichtet, die Wachen aber verschwunden waren. Das bedeutete, wir waren frei! - Ich wurde oft gebeten, meine Gefühle an diesem Tag zu beschreiben, und ich gab immer dieselbe Antwort: 'Hunger!' Alle anderen Gefühle waren uns schon seit langer Zeit abhandengekommen.

Max Stern (geb. 1921 in Bratislava, gest. 2016 in Melbourne), jüdischer Häftling, 2003