Aussagen von Zeitzeugen über den Todesmarsch und das Waldlager
Peter Heilbut
Kaum ist der Zug, ist unsere Fünfhundertschaft aus Oranienburgs Bebauung heraus, kaum im freien Gelände, da passiert es zum ersten Mal. Einer, einige Reihen vor uns, bricht zusammen, fällt, liegt da. Liegt da, in Erwartung, wie es nun weitergehe. [...] Oder gibt er sich der simplen Hoffnung hin, dass weitermarschiert und er hier liegen- und zurückgelassen werde? „Das ganze halt!“ Auf SS-Befehl wird er beiseite getragen, neben den Weg gelegt. Ein Schuss knallt. Wir haben den ersten Toten.
Peter Heilbut (1920-2005), deutscher Häftling, 2005
Jaroslav Vrabec
Zwölf Tage und Nächte sind wir gelaufen, wir wurden nass, wir froren, wir fielen vor Erschöpfung und Hunger. Wer aus der Reihe trat wurde erschossen. Zwölf Tage und Nächte im Schatten des Todes. Immer im Kontakt mit der zurückgeschlagenen deutschen Armee und fanatisierten deutschen Jugend, die uns bespuckte und beschimpfte, dass wir es gewesen sind, warum sie den Krieg verloren haben.
Jaroslav Vrabec ( geb. 1921), tschechischer Häftling, 2006
Aloyse Ehleringer
Montag, den 23. April Abmarsch 7 Uhr. Was wird dieser Tag uns bringen? Es ist nieselndes, trübes Wetter. Der Hunger wird schlimmer, die nass am Leibe hängenden Kleider sind schwer wie Blei, die Füße in den Holzschuhen sind wund gelaufen und schmerzen immer mehr. Die Leichen der [...] erschossenen Häftlinge liegen bereits zu 2 und 3 nebeneinander im Kot und Schlamm des Straßengrabens.
Aloyse Ehleringer (geb. 1919 in Luxemburg), luxemburgischer Häftling, 1965
Mikas Slaza
[Wir] marschieren in einem Eiltempo 18km über Wittstock hinaus, bis wir den Wald von Below erreichten. Da langten wir um Mitternacht so müde an, dass wir uns kaum noch weiterschleppen konnten. Und unaufhörlich hieß es von rechts und von links: Tempo! Aufgehen! Links ran! Todmüde sanken wir hin, wo wir standen, als es hieß, dass wir in dem Wald bleiben würden. Erst in der Morgenfrühe sah man sich seine Umgebung an. Schon viele Kolonnen waren vor uns angekommen. Niemand weiß, was weiter geschehen wird.
Miklas Slaza (geb. 1897 in Kretinga), litauischer Häftling, 1945
Fritz Eickemeier
Um 2.00 Uhr nachts sehen wir links der Landstraße mitten im Wald Laubhütten und hungrige Gestalten. Davor eine SS-Postenkette. [...] Die SS jagte uns in den Wald und damit sind wir für sie fertig. Bis jetzt hat man uns ohne Verpflegung, ohne sanitäre Hilfe, ohne jede Hilfe gelassen. [...] Der neue Tag meinte es nicht gut mit uns. Trübe, regnerisch und kalt. Soweit das Auge reicht, Waldhütten, Erdhöhlen und Laubdächer. [...] ausgemergelte, seit Tagen ungewaschene, zerrissene Gestalten hocken um das Feuer. Überall sieht man in Kochgeschirren, Konservenbüchsen, Suppe kochen. Es ist Wasser mit Brennnessel und anderer Gräser, denn Verpflegung hat es bis jetzt auch hier noch nicht gegeben.
Fritz Eickemeier (geb. 1908 in Osterwald/Hannover), deutscher politischer Häftling, 1945
Marcel Couradeau
Als wir durch Neuruppin kommen, steht eine alte Frau vor ihrer Tür und hält uns einen Eimer mit Wasser hin. Die SS-Posten stoßen den Eimer um und beschimpfen sie. Immerhin eine Deutsche, die noch ein Herz hat.
Marcel Couradeau (geb. 1908), französischer Häftling, 1981
Zwi Helmut Steinitz
In einigen Ortschaften standen aufgehetzte Kinder an der Straße, beschimpften und bewarfen uns mit Steinen: In ihren Augen waren wir anscheinend immer noch jüdische Todfeinde des deutschen Volkes.
Zwi Helmut Steinitz (geb. 1927 in Posen/Polen), jüischer Häftling, 2006
Max Stern
Als wir am Morgen des 7. Mai [1945] erwachten, bemerkten wir, dass die Maschinengewehre noch gegen uns gerichtet, die Wachen aber verschwunden waren. Das bedeutete, wir waren frei! - Ich wurde oft gebeten, meine Gefühle an diesem Tag zu beschreiben, und ich gab immer dieselbe Antwort: 'Hunger!' Alle anderen Gefühle waren uns schon seit langer Zeit abhandengekommen.
Max Stern (geb. 1921 in Bratislava), jüdischer Häftling, 2003